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Lehrerzimmer der Zukunft – Veränderung der Arbeitsplatzkultur in der Schule

Freigiebiger Applaus, zufriedene Gesichter und viel Zuspruch – so geht der Fortbildungstag des Archigymnasiums in Soest nach acht Stunden zu Ende. Am Morgen hatten sich knapp 60 Lehrerinnen und Lehrer versammelt, um ihre Kommunikation von verschiedenen Seiten zu beleuchten. In der Aula hatten sie Tische und Stühle zu Gruppen gerückt und Metaplanwände aufgestellt. Statt der üblichen Frontalbeschallung ein Dialogforum. Die Feedbackbögen bestätigten den Applaus – meine Teilnehmer waren sehr zufrieden mit dem Tag und mit ihren Ergebnissen.

 

Die Ausgangslage: Unzufriedenheit

Schon lange waren die Lehrerinnen und Lehrer unzufrieden mit der Kommunikationskultur und dem Klima im Kollegium. Im Gespräch mit dem Fortbildungskoordinator Udo Pommeranz erfuhr ich, dass die Kollegen vor allem ein Gefühl von Miteinander und Teamgeist vermissen. Viele Lehrer grüßten sich nicht einmal mehr, mieden das Lehrerzimmer, Schulveranstaltungen platzten, weil das Lehrpersonal sich freiwilligen Diensten entzog.

Es war die Idee des Koordinators, von Unternehmen zu lernen und Modelle daraus auf die Schule zu übertragen. Meine Erfahrungen als Projektleiterin im Personalmanagement eines Großkonzerns und meine Tätigkeit als selbständiger Businesscoach waren dafür genau die richtige Mischung. Die Leitfrage für mich war: Wie gelingt es, ein großes Lehrerkollegium auf seine Kommunikationsmuster schauen zu lassen und Veränderungen anzustoßen?

Ich machte mir ein umfassendes Bild von den relevanten Themen. Wo hatte das Kollegium Handlungsbedarf? Was bewegt die Lehrer neben dem Hauptthema Unterricht und Schulalltag in Bezug auf das kollegiale Miteinander? Dazu führte ich intensive Gespräche mit dem Fortbildungskoordinator, den Mitgliedern des Lehrerrates und der Schulleitung. Als Gesprächsbasis diente eine selbstorganisierte Umfrage zur Arbeitszufriedenheit, die ein Jahr zuvor im Lehrerkollegium durchgeführt wurde. Bei den Vorgesprächen wurde deutlich, worum es dem Kollegium ging: um eine Wertediskussion und auch viele praktische Aspekte, wie die Gestaltung des Lehrerzimmers oder die Nutzung moderner Kommunikationstechnik.

Es galt eine relativ große Gruppe von Menschen zu unterschiedlichen Themen ins Gespräch zu bringen, Lösungen entwickeln zu lassen und nachhaltige Veränderung zu erzielen. Große Unternehmen nutzen seit Jahren Zukunftskonferenzen und Dialog-Foren mit Formaten wie Open Space, Fishbowl und World Café – etwa um Changeprojekte auf den Weg zu bringen. Natürlich lassen sich diese Formate auch im Schulkontext anwenden. Auch wenn finanzielle und technische Möglichkeiten einer Schule natürlich begrenzt sind.

 

Auflockern: Speeddating und Suchaufträge

Als Warm-Up dienten Suchaufträge, die jeder Teilnehmer auf seinem Stuhl vorfand. Jeder wurde mit zwei Fragen losgeschickt und sollte im Lehrerkollegium jemanden finden, der die Frage mit „Ja“ beantworten konnte. (Siehe Abbildung 1) Schon nach kurzer Zeit ergaben sich ein lebhaftes Durcheinanderlaufen und angeregte Gespräche. Die Stimmung war gelöst, die Lehrer hatten gemeinsam gelacht und Neuigkeiten über Kollegen erfahren. Zum Abschluss der Warm-Up-Runde ging ich als Moderator von Tisch zu Tisch und fragte nach Überraschungen und danach, wer alle Suchaufträge erledigen konnte. So konnte ich den Kontakt zur Gruppe auf humorvolle Art und Weise herstellen.

 

Das Lehrerkollegium wünschte sich für den Tag Impulse aus dem Unternehmenskontext, daher folgte ein kurzer Input zum Thema Kommunikation aus meiner 20jährigen Unternehmenserfahrung. Das bereitete gleichzeitig den Weg für die Gruppenarbeiten und es setzte einen Rahmen. Ich berichtete über Erfahrungen u.a. zu diesen Aspekten:

 

/ Die Bedeutung einer Aussage bestimmt der Empfänger.

Sei achtsam und nehme war, dass jeder in seiner eigenen Realität lebt.

Beobachte, wie du das Verhalten von anderen interpretierst.

Versuche weniger auf deine Bewertung und mehr auf die Bedürfnisse deines Gegenübers zu achten.

Suche nach der positiven Absicht des Verhaltens und versuche dich in die Welt des anderen zu begeben.

Die Themencafés

Die Gruppenarbeiten wurden als „Themencafé“ anmoderiert, in Anlehnung an die  Methode „World Café“. In unserem Fall sollte die Methode die Teilnehmer u.a. motivieren, über das Treffen hinaus an dem Thema zu arbeiten und kooperativ zu bleiben. Entscheidend für ein World Café ist eine relevante Fragestellung, die Kleingruppen bearbeiten können. Ein Moderator pro Gruppe – wir haben ihn „Hutträger“ genannt – achtet darauf, dass alle zu Wort kommen, Strategien gefunden und Ergebnisse dokumentiert werden. Wir nutzten dafür Metaplanwände.

Vor der Veranstaltung erklärten sich Lehrer bereit, als Hutträger zu fungieren. Sie bekamen die Aufgabe, Ihr Thema in Form eines „Elevator Pitch“, also in maximalzwei Minuten zu präsentieren und mit sieben Tickets in der Hand zur Teilnahme an der Arbeitsgruppe zu werben. So konnten sich die Teilnehmer frei für ein Herzens-Thema entscheiden, und zwar mit der Maßgabe „first came, first serve“. Es half dem Erfolg dieses Tages, dass die bearbeiteten Themen aus den Lehrer-Reihen promotet und vertreten wurden.

Zu jedem Thema war ein „Arbeitsauftrag“ mit Leitfragen vorbereitet und der Raumplan für die Verteilung der Arbeitsgruppen im Schulgebäude lag bereit. Der Arbeitsgruppen mussten sich nicht „streng“ an die Arbeitsaufträge halten, vielmehr waren die Leitfragen z.B. für das Thema „Wertschätzende Kommunikation“ oder „Lehrerzimmer der Zukunft“ als Impulse gedacht.

 

Einige Ergebnisse

Die Arbeitsgruppe „Kommunikationsprozesse und Zuständigkeiten“ z.B. hatte einen konkreten Ablauf skizziert für das Ereignis „neuer Schüler kommt in die Klasse oder Stufe“. Darin waren die Aufgaben der Schulleitung, Klassenleitung sowie Fachlehrer beschrieben und in einen chronologischen Ablauf gebracht worden. Auf Wunsch der Gruppe sollte es einen Folgetermin geben für den bereits ein Themenspeicher angelegt worden war.

Das Thema „Lehrerzimmer der Zukunft“ hatte besonders großen Zulauf gefunden. Die Leitfragen waren nach der Disney-Methode aufgebauten: Wie würde sich ein Kollege, der ein Träumer ist und sich keine Grenzen setzt, das Lehrerzimmer ersinnen? Was würde ein Kollege Realist, der von diesem Traum erfährt und die Ideen gut findet, davon umsetzen und wie? Sie brachten Kreativitätsprozesse in Gang. Kurzerhand war das „Ideallehrerzimmmer“ mit unterschiedlichen „Bedürfniszonen“ am Flipchart skizziert worden. Die „Realisten“ entwickelten dazu eine Liste mit sofort umsetzbaren Themen und konkrete Pläne. Beim Marktbesuch erklärten sich spontan neun Lehrer bereit, an einer AG „Lehrerzimmer“ mitzuarbeiten. Und mehr als zwanzig Lehrer unterschrieben auf der Liste „mache bei Arbeitseinsatz mit“.

 

Die Ergebnisse einer Evaluation durch die Schulbehörde waren positiv – zum Thema Kommunikation gab es keine „Beanstandungen“ durch die Aufsichtsbehörde. Schulleitung und der Fortbildungskoordinator sind zufrieden mit dem Ergebnis.

 

Dieser Fortbildungstag war für die Schule und die Lehrer ein großer Gewinn. Für die Nachhaltigkeit reicht dies allerdings nicht aus – es sollte eine Follow-Up-Veranstaltung geben. Und noch wichtiger ist es, die Umsetzung der Themen zu monitoren und zu unterstützen. Eine Aufgabe kommt dabei der Schulleitung und dem Lehrerrat zu. Erst wenn sie die Umsetzung konsequent verfolgen, wird sich langfristig eine neue Kommunikationskultur etablieren können. 

 

 

Erschienen in Praxis Kommunikation / Ausgabe 3 / 2018